09. Februar 2015, 12:26 in Überwachung
amEin deutsch-arabisches Firmengeflecht bewirbt auf internationalen Überwachungsmessen einen neuen Staatstrojaner “made in Germany”. In langer Recherche haben wir Hintergründe über Firmen und Akteure zusammengetragen. Ob die Firma überhaupt ein verkaufsfähiges Produkt hat, ist unklar, dennoch macht man weiter Werbung – an Polizeien und Geheimdienste.
There is also an English translation of this posting.
Klassentreffen der Überwacher
Seit Jahren berichten wir über die internationale Verkaufsmesse ISS (Intelligent Support Systems) World, das Klassentreffen der Überwachungsindustrie, auch genannt “Wiretapper’s Ball“. Im Juni 2014 fand wieder der jährliche Europa-Ableger in Prag statt.
Neben vielen anderen Überwachungsfirmen findet sich in der Liste der Sponsoren auch die bisher wenig beachtete Firma Advanced German Technology (AGT). Nicht nur mit Namen und Logo gibt man sich Deutsch, man betont gleich am Anfang der Selbstbeschreibung auch “vor über einem Jahrzehnt in Berlin gegründet” zu sein. Diese Berliner Überwachungsfirma haben wir uns mal etwas genauer angeschaut.
Kerngeschäft Massenüberwachung
AGT selbst sagt: “‘Lawful interception’-Operationen bilden den Grundpfeiler des Geschäfts.” Man bewirbt “strategische und taktische Überwachung” als Kernkompetenz, in allen Bereichen: Internet, Satelliten, Funk, Mobilfunk, Radar, Telefonie, Fax, SMS, E-Mail, Skype. Neben der beworbenen “Fähigkeit, landesweiten Datenfluss in Echtzeit zu analysieren“, ist uns vor allem die Internet-Überwachung mittels Trojaner aufgefallen (Rechtschreibung und Grammatik wie im Original):
Dieses Problem kann gelöst werden, wenn auf die abgefangenen IP-Daten direkt vom Ziel-PC zugegriffen werden kann, weil die Verschlüsselung “hinter” dem Ziel-PC stattfindet. Dies kann durch die Benutzung von IT-Intrusion-Software bewerkstelligt werden. Selbstverständlich ist ein solcher Ansatz rein Ziel-basiert, d.h. das Ziel muss bekannt sein. Wenn ein Trojaner in den PC eingebaut wird, kann der gesamte IP-Datenverkehr abgefangen/überwacht werden (auch Skype, VPN etc.). Es ist eine Vielfalt von Methoden, einen Trojaner in einen PC einzubauen verfügbar; entweder ISP-basiert oder mit Tools, wenn realer Zugang zum Ziel-PC möglich ist. Eine starke landesweite IP-Überwachungslösung basiert auf der Realisierung von beiden Konzepten, vorzugsweise in einem System kombiniert: Passive IP-Überwachung und IT-Intrusion-Software.
Heimliche Fernüberwachung
Diesen Trojaner nennt AGT “Remote Stealth Surveillance Suite” (Heimliche Fernüberwachung). Auf der ISS in Prag 2014 präsentierten sie dieses Produkt exklusiv für “Geheimdienste sowie Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden” unter dem Titel “Verschlüsselung der Massenkommunikation hat die Spielregeln verändert: lerne, wie man mit Remote Stealth Surveillance einen Schritt Vorsprung behält”. Und von dieser Werbe-Veranstaltung haben wir einen Flyer erhalten, den wir an dieser Stelle veröffentlichen: Remote Stealth Surveillance Suite (PDF, nebenan als PNG, unten als Text).
Die Werbung verspricht eine “nahtlose Ausführung auf allen gängigen Betriebssystemen, einschließlich Smartphones und Tablet-Computer”, darunter sind Logos von Windows, Linux, Apple und Android. Als “Erfassungs-Fähigkeiten” werden genannt:
- Eingabe: Tastatur, Maus (einschließlich virtueller Eingaben)
- Browser-Aktivität
- Screenshots
- Audio- und Video
- Vollständige Überwachung von Skype
- Erfassung der aufgerufenen Dateien in Echtzeit
- Erfassung von verschlüsselten und sensiblen Daten
- Datei-Download und Fernsteuerung bei Bedarf
- und viel, viel mehr (sic)
Ein klassischer Trojaner mit Vollzugriff auf das System also.
Briefkastenfirma in Berlin
Auf dem Flyer finden wir auch eine Adresse in Berlin: Potsdamer Platz 11. Auf der Webseite wird behauptet, die “Firmenzentrale ist am prestigeträchtigen Potsdamer Platz gelegen“. Also sind wir da einfach mal hingegangen.
Vor Ort stellt sich heraus, dass das ein Business Center ist, wo man Büros mieten kann. Auf unsere Frage nach AGT antwortete die Empfangsdame: “Die sind nur ganz selten da.” Man kann dort ein “virtuelles Büro” mit “repräsentativer Geschäftsadresse” mieten. Eine Briefkastenfirma.
Unsere wiederholten Telefonanrufe und E-Mails wurden wochenlang abgewiesen oder ignoriert. Also Internet-Recherche.
Firmengeflecht in Nahost
AGT wurde laut Firmen-Webseite (und Firmen-Profil auf LinkedIn) “2002 in Berlin / Deutschland gegründet”.
Die Firmen-Webseite enthält eine Seite mit Medienberichten zwischen 2003 und 2005, die meisten jedoch auf Arabisch. Eine erste wichtige Meldung in englischer Sprache ist von 2004 im libanesischen Daily Star. Dort wird der Syrer Anas Chibib als “Geschäftsführer (managing director) der in Berlin ansässigen AGT” sowie “Leiter von AGT Nahost” angegeben.
Das “AGT FZ LLC Middle East Regional Office” in Dubai ist neben dem Büro in Berlin auch direkt auf der Firmen-Webseite angegeben. Laut Daily Star hatte AGT 2004 “Büros in Bahrain, Dubai und Saudi Arabien”. Zudem verzeichnet die “Syria Business Database” eine “AGT Syria Ltd” in Damaskus, wo AGT 2009 auch auf einem “ICT Security Forum” war. Ein Firmen- und Büro-Geflecht.
Made in Germany?
Wie deutsch ist die “deutsche Technologie” von “Advanced German Technology”? Auf der Webseite bewirbt man “Deutsche Technologie und Expertise auf dem globalen Markt”. Auf der englischen Seite beschreibt man die Mission damit, “modernste europäische Sicherheitstechnologie in die ganze Welt zu liefern, mit einem Fokus auf den Nahen Osten”.
Die Berliner “AGT Advanced German Technology GmbH” existiert seit Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg erst seit 22. Oktober 2013, vorher war das eine “Vorratsgesellschaft” von VRB. (Wer uns einen Auszug von Creditreform schenken will, bitte an die üblichen Kanäle.) Der “Experte für Organisations- und Führungskräfteentwicklung” Christoph Stortz gibt an, seit August 2013 Geschäftsführer zu sein, vorher war er “Head of HR”.
Auch Stortz bestätigte gegenüber netzpolitik.org, dass die Zentrale der Firmen-Gruppe das Büro in Dubai ist. Das erklärt vermutlich auch, warum er sich nach unseren Informationen in der ersten Januar-Woche in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhielt. Dazu passt auch, dass die AGT-Gruppe laut Firmen-Profil auf LinkedIn zwischen 51 und 200 Mitarbeitern hat. In Deutschland konnten wir neben dem Geschäftsführer und der Assistentin der Geschäftsleitung Kathrin Keiper bisher keine weiteren Mitarbeiter identifizieren.
IT Security made in Germany
Dafür kann man auf LinkedIn 21 Profile von Angestellten finden, viele aus dem arabischen Raum. Der Syrer Anas Chibib war laut AMEInfo im Oktober 2014 noch immer Geschäftsführer (CEO) von “AGT”. Das alles sieht danach aus, als ob man das Label “made in Germany” und das Büro in Deutschland nur aus Image-Gründen zur Werbung mit deutscher Technik verwendet.
Dieses Ziel hat auch die Initiative “IT Security made in Germany“, 2005 auf Initiative von Wirtschafts- und Innenministerium gegründet und heute ein Verein unter dem Dach von TeleTrusT. Wir haben das Gerücht gehört, dass AGT mal mit diesem – dem eigenen Logo nicht ganz unähnlichen – Label geworben hat, dann aber die erste Firma wurde, der das untersagt wurde. Seit Wochen versuchen wir, das zu verifizieren, was aufgrund mehrmaliger Umstrukturierungen aber noch nicht abgeschlossen ist. Ergebnisse werden wir hier ergänzen, sobald wir sie haben.
Kunden in Nah- und Mittelost
Laut Eigenauskunft hat die AGT-Gruppe “Projekte in zwölf Ländern, unter anderem in Europa, durchgeführt.” Auf der englischen Seite ist das ergänzt mit “Nahost und Nordafrika”. Als wir den deutschen Geschäftsführer endlich erreichten, bestätige er, dass die Kunden von AGT hauptsächlich im Nahen Osten sind. Dazu passt auch die Meldung, dass AGT Haupt-Berater des neuen Rechenzentrums der Polizei im Emirat Abu Dhabi war.
Wie aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen verlautete, soll AGT neben Nah- und Mittelost aber auch viele Geschäfte in der Region um Indien und Pakistan tätigen. Leider war es uns bisher nicht möglich, das zu verifizieren.
Verkäufer eingekaufter Produkte
Dem Vernehmen nach ist das Geschäftsmodell von AGT das eines Wiederverkäufers (Reseller). Auf der Webseite sind 36 “Partner” aufgelistet. Nach unserem Verständnis produzieren diese Firmen Technologien und Dienstleistungen, die AGT dann an Endkunden verkauft (mit eigenem Gewinnanteil, natürlich).
So verkaufte AGT vor über zehn Jahren beispielsweise die CryptoPhone-Produkte der Berliner Firma GSMK. Diese Geschäftsbeziehungen sind allerdings bereits seit…
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