Eine neue Inquisition – Der CIA-Folterreport – Teil 2

Mathias Bröckers 18.01.2015

Er würde es jederzeit wieder tun, hatte Ex-Vizepräsident Dick Cheney die Veröffentlichung des Senatsreports über die Foltermethoden der CIA kommentiert, der Bericht sei nichts weiter „als ein Haufen Mist“ – und wurde mit diesem zynischen Kommentar seiner Rolle als „Darth Vader“ des ehemaligen Bush-Regimes einmal mehr gerecht.

Tatsächlich sind nicht diese Untersuchungsergebnisse „Mist, die unter anderem zeigen, dass die Regierung Anweisungen gab, aus bestimmten Gefangenen Geständnisse über eine Verbindung von „Al Qaida“ und Saddam Hussein herauszuholen, um einen Kriegsanlass zu produzieren. „Mist“ sind vielmehr die mit Folter-Methoden erpressten Erkenntnisse.

Dies ist schon seit 1631 bekannt, als der Jesuit und Schriftsteller Friedrich Spee seine Kritik der Hexenprozesse „Cautio Criminalis“ veröffentlichte und die Frage beantwortete, was von solchen Geständnissen zu halten ist:

Welches sind die Beweise derer, die auf der Folter erpressten Geständnisse für wahr halten? – Auf diese Geständnisse haben alle Gelehrten fast ihre ganze Hexenlehre gegründet, und die Welt hat’s ihnen, wie es scheint, geglaubt. Die Gewalt der Schmerzen erzwingt alles, auch das, was man für Sünde hält, wie lügen und andere in üblen Ruf bringen. Die dann einmal angefangen haben, auf der Folter gegen sich auszusagen, geben später nach der Folter alles zu, was man von ihnen verlangt, damit sie nicht der Unbeständigkeit geziehen werden. […] Und die Kriminalrichter glauben dann diese Possen und bestärken sich in ihrem Tun. Ich aber verlache diese Einfältigkeit.

Da wegen dieser Unzuverlässigkeit schon im alt-testamentarischen jüdischen Recht das Geständnis eines Täters keine Beweiskraft hatte, wurden damals weniger die Verdächtigen, sondern eher die Zeugen gefoltert, um mit diesen Geständnissen externe Beweise für die Schuld des Verdächtigen zu erlangen. Auch die „Heilige Inquisition“, deren Verfahren Friedrich Spee beobachtete, optimierte mit solchen Geständnissen ihre „Quellenlage“ und fütterte auf diese Weise ihre Fiktionen von Hexen, Zauberei und Teufeln mit „realen“ Beweisen und Dokumenten.

Wer die jetzt veröffentlichten Protokolle der Folter von 119 Gefangenen in CIA-Gewahrsam liest, kann den Eindruck bekommen, dass es bei diesen brutalen Verhören eben darum ging: Wie einst auf diesen erfolterten Geständnissen „die Gelehrten fast ihre ganze Hexenlehre gründeten“, so gründete die CIA ihre „Lehre“ von Al Qaida – die im 9/11-Report dargelegte Geschichte von Osama Bin Laden und 19 „Hijackern“ als Alleintätern und globale Gefahr – fast ausschließlich auf den Geständnissen des „Kronzeugen“ Khalid Scheich Mohamed (KSM) beruht.

Neben den üblichen routinemäßigen „Behandlungen“, die von 2002 bis 2007 den meisten CIA-Gefangenen zuteil wurden und die von den Advokaten der US-Regierung als „legal“ und den Genfer Konventionen entsprechend eingestuft wurden – (1.) Schlafentzug, (2.) Nahrungsmanipulation, (3.)fixierende Gesichtsgriffe, (4.) Ohrfeigen, (5.) Schläge in den Unterleib und (6.) wachrüttelnde Würgegriffe -, wurde KSM insgesamt 183 Mal der Spezialbehandlung des Beinahe-Ertränkens in Serie – Waterboarding – unterzogen. Von ihm stammten die meisten Informationen, die in Hunderten von Protokollen und Analysen ihren Weg bis in die Reden des Präsidenten und in die Medien fanden (Der Spiegel, die Folter und 9/11) – sowie in den Bericht der 9/11-Kommission, der freilich untersagt wurde, KSM persönlich zu befragen, auch seine Verhörer durften nicht vernommen werden.

Die beiden Vorsitzenden verzichteten darauf, diesen Sachverhalt öffentlich zu machen, und erwähnen in der Konsens-Abschlussfassung mit keinem Wort, dass praktisch alle Aussagen, auf denen ihr Bericht fußt, zweifelhaft sind und nicht im Mindesten gerichtsfest. Das hundertfach gefolterte Phantom wurde stattdessen völlig schmerzfrei permanent beim (von seinen Folterern kolportierten) Wort genommen. Woher denn Al-Qaida die zirka 500.000 Dollar genommen hatte, die zur Ausführung des Anschlags erforderlich waren – diese Frage konnte KSM allerdings auch unter Folter nicht beantworten, weshalb sie im Commission Report als „von geringer Bedeutung“ abgetan wurde. Dass KSM schon vor seiner Verhaftung die richtigen Namen der Entführer nicht kannte, sondern sich nur an Codenamen erinnerte, fällt da fast nicht mehr ins Gewicht. Er hatte ja ansonsten alles gestanden. Nicht nur „9/11 von A bis Z“ und den Mord an Daniel Pearl, auch eine Verbindung zum verhinderten „Schuhbomber“ Richard Reid sowie eine Beteiligung an so ziemlich allen geplanten und durchgeführten Anschlägen des letzten Jahrzehnts, unter anderem den „Bojinka-Plot“, Anschläge auf den Papst, Bill Clinton sowie die Plaza-Bank im Bundesstaat Washington. Da letztere erst drei Jahre nach KSMs Verhaftung gegründet worden war, unterstellte man ihm in diesem Fall – aber auch nur in diesem – „Aufschneiderei“.

Der Kronzeuge

Der Folterreport fasst dazu jetzt lakonisch zusammen:

Im Übrigen wurde, wie erwähnt, ein beträchtlicher Teil der von ihm (KSM) stammenden Informationen, die von der CIA für wichtige Erkenntnisse über Bedrohungen gehalten und verbreitet worden waren, später als Märchen enttarnt.

Märchen! Was von einem offiziellen Untersuchungsbericht über ein Verbrechen wie 9/11 zu halten ist, wenn die Hauptquelle, der Kronzeuge für die Alleintäterschaft von Bin Laden und den „Hijackern“, Märchen erzählt, bedarf keiner weitergehenden Erklärung. Dass dieser Untersuchungsbericht nicht ein Fall für die Müllhalde der Geschichte, sondern zur Grundlage der zeitgenössischen Orthodoxie wurde, stellt ihn in eine Reihe mit dem 1484 erschienen „Hexenhammer“ und der Orthodoxie der „Heiligen Inquisition“ über die Verschwörung von Teufeln, Hexen und Zauberern.

Das „Wissen“, die „Wahrheit“, mit der die Verfolgung dieser Verschwörer begründet wird, beruht in beiden Fällen auf erfolterten Geständnissen. Insofern wundert es auch nicht, wenn die Kommission des US-Senats unter Punkt 1 zu demselben Schluss kommt wie vor fast vier Jahrhunderten der Beobachter der Hexenprozesse Friedrich Spee: „Die Anwendung verschärfter Verhörmethoden durch die CIA war kein wirksames Mittel, um geheimdienstliche Informationen zu gewinnen oder die Inhaftierten zur Kooperation zu bewegen.“

Der Kreis der Unberührbaren

Die Anwendung verschärfter Verhörmethoden durch die CIA war kein wirksames Mittel, um geheimdienstliche Informationen zu gewinnen oder die Inhaftierten zur Kooperation zu bewegen.

CIA-Folterbericht

Die zentrale Schlussfolgerung aus dem CIA-Folterbericht des US-Senats ist nicht neu, auch nicht für die CIA, denn schon vor dem Ausnahmezustand nach 9/11 und dem Freibrief für außergewöhnliche Maßnahmen, den Präsident Bush dem Geheimdienst mit einem „Memory of Notification“ am 17.9.2001 ausstellte, war die geheimdienstliche Ineffektivität von Foltermethoden durchaus bekannt.

Zwei nach dem Skandal von Abu Ghraib 2004 erschienene Bücher – „Die CIA-Lüge – Foltern im Namen der Demokratie“ von Egmont R.Koch (2008) und die Arbeiten des CIA-Historikers Alfred McCoy „Foltern und Foltern lassen – 50 Jahre Folter-Forschung und – Praxis von CIA und Militär“ (2005) – zeigen auf, dass die aus dem Gefängnis Abu Ghraib bekanntgewordenen Misshandlungen nicht als Untaten von ein paar schwarzen Schafen abgetan werden können, sondern eine Vorgeschichte haben, die bis auf das Ende des 2. Weltkriegs und die stillschweigende Integration deutscher KZ-Ärzte und Folterspezialisten in amerikanische Dienste zurückgeht. Im Vietnamkrieg testete die CIA im großen Stil neue Methoden der psychischen „berührungslosen“ Folter, die im Kalten Krieg und nach 9/11 wieder ebenso Anwendung fanden wie ein Arsenal von „verschärften“ Methoden bis hin zum Waterboarding.

Sowohl in dieser historischen Rückschau als auch in den jetzt erschienen Folterberichten wird deutlich, dass das nach Abu Ghraib auch im liberalen Diskurs zur Legitimation der Folter oft herangezogene Beispiel vom gefangenen Terroristen und der tickenden Bombe – man muss doch einen Menschen foltern dürfen, wenn damit hunderte Leben gerettet werden – nicht mehr als ein perfider Trick ist, um ethische Bedenken gegenüber der Folter auszuräumen. Denn in der Realität kommen solche Situationen nicht vor und auch nicht in den über 6 Millionen Dokumenten, den der Senatsausschuss gesichtet und auf 6.700 Seiten zusammengefasst hat. Wir können sicher sein, dass sie auch in der stark redigierten veröffentlichten Zusammenfassung erwähnt würden, wenn es solche Erfolge gegeben hätte.

Doch dass die systematische Folter „Leben rettet“ und „entscheidende Informationen“ im „war on terror“ liefert, wurden über die Jahre hinweg nur behauptet – von der CIA gegenüber der Regierung, ihren Generalinspekteuren und den Medien, die diese Behauptungen unhinterfragt kolportierten. Und im Zentrum dieser Irreführung steht wieder jene Person, Alfreda Frances Bikowsky, die sowohl vor als auch nach 9/11 für so viele „Geheimdienstpannen“ verantwortlich war, dass sich manche Beobachter fragen, ob es sich bei ihr um den „Forrest Gump der CIA“ handelt. Was aber unwahrscheinlich ist, denn solche liebenswerten Trottel machen in der „Firma“ keine derart steile Karriere, werden zur Chefin der „Global Jihad Unit“, dürfen mit dem Präsidenten den Live-Stunt der Jagd auf Osama Bin Laden verfolgen (Foto , AFB ganz hinten ) und werden zur Figur eines Actionfilms, mit dem Hollywood einer Kultur des Folterns den popkulturellen Weg ebnen will ( „Ein abstoßender Propaganda-Streifen“).

Nein, wahrscheinlicher ist, dass die „failures“ von Mrs. Bikowsky kein Versagen, sondern ein Erfolg waren, denn kaum jemand in der CIA hat erfolgreicher an der Legende von Al-Qaida als neuem Weltfeind gebastelt als sie. Im Dezember 1996 wandern mit den Aussagen von Ahmed Al-Fadl, einem sudanesischen Überläufer, erstmals Angaben über eine Organisation namens „the base“ (Al-Qaida) in einen CIA-Report, den die Analyseabteilung der „Alec Station“ unter Supervision von Bikowsky verfasst. Dies führt 1998 zur Bombardierung einer Aspirin-Fabrik in Khartoum, von der Al-Fadl behauptet hatte, Bin Laden stelle dort Chemiewaffen her. Seit 1998 hat ihre Abteilung ein Ohr in dem Safehouse im Jemen, in dem nicht nur der spätere „Hijacker“ Al-Midhar ein und ausgeht (siehe Die Königin der Folter), sondern auch der Anschlag auf die USS Cole geplant wird.

Als der unermüdliche Terroristen-Jäger des FBI, John O’Neill, deswegen im Jemen ermitteln will, halten ihn CIA und Bush-Regierung mit einem Einreiseverbot ab, worauf er im Juli 2001 resigniert sein Amt quittiert. Im selben Monat erhält Khalid Al-Midhar ein frisches Dauervisum für die USA. Als die Nachricht von diesem Visum in der „Alec Station“ bekannt wird, setzen die dort stationierten Liaison-Offiziere des FBI sofort eine Email an ihre Dienststelle – die aber auch am nächsten Tag noch als „nicht gesendet“ angezeigt wird. Als sie sich bei der Supervision danach erkundigen, teilt ihnen Anne Casey, die rechte Hand von Alfreda Frances Bikowsky, mit, dies sei Sache der CIA und nicht des FBI. Diese Vorgänge in der Alec-Station haben die Autoren Ray Nowosielski und John Duffy in einer investigativen Reportage enthüllt, in deren Folge 2011 auch die Klarnamen der beiden Agentinnen und ihres Vorgesetzten, Richard Blee, bekannt wurden („Who Is Rich Blee?“).

Als im März 2003 Khalid Scheich Mohamed in einem Folterknast in Polen der ersten Waterboarding-Sitzung unterzogen wird, obwohl er sich bei den ohne Zwangsmaßnahmen durchgeführten Verhören zuvor „durchaus auskunftsfreudig“ gezeigt hat, fliegt Bikowsky dort hin, um sich das anzuschauen. Sie ist also von Beginn an in die „Märchen“ involviert, die KSM unter der Folter gesteht. Und vermutlich auch dafür verantwortlich, dass die unpassenden – weil womöglich wahren – Informationen von KSM unter den Tisch fallen, die er gleich nach seiner Festnahme gegeben hatte:

KSM gab an seinem ersten Tag in CIA-Gewahrsam unter anderem eine präzise Beschreibung eines pakistanisch-britischen Terroristen, die aber unter den Tisch fiel, weil es eine Aussage aus der allerersten Phase war, dem „Wegwerf-Stadium“ der Informationsgewinnung, bei dem die Häftlinge nach Meinung der CIA falsche oder wertlose Angaben lieferten.

Der CIA-Folterreport, S. 142

Bei diesem „pakistanisch-britischen Terroristen“ kann es sich nur um Omar Saeed Sheik handeln, also genau jenen Scheich, den KSM dann ab 2003 ersetzte, als Mastermind und Chefplaner von 9/11.

Dass Omar 100.000 US-Dollar an Mohamed Atta überwiesen hatte, fiel dann ebenso unter den Tisch wie die gesamte Finanzierung des 9/11-Anschlags dann „scheichegal“ war. Stattdessen wanderten die erfolterten Märchen von KSM unter Verantwortung und Aufsicht von Bikowski in die Protokolle und in die Medien und wurden so nicht nur zur tragenden Säule des offiziellen Al Qaida/ 9/11-Narrativs, sondern auch Teil der selbst-generierenden Maschine des „war on terror“.

Die nach tagelangen Folterungen endlich positiv beantworteten Fragen wie „Habt ihr Anthrax hergestellt?“ oder „Wolltet ihr schwarze Muslime in USA rekrutieren?“ setzten Sondereinsatzkommandos und die ganze Maschinerie in Gang. Wie viele Unschuldige bei diesen auf Märchen basierenden Aktionen in Mitleidenschaft gezogen oder zu Tode kamen ist ebenso unklar, wie die konkrete Verantwortlichkeit einzelner Personen im Bericht nicht direkt ablesbar ist. Dass unter den Schwärzungen aber Dutzende Male der Name Bikowski stehen muss, ist nahezu sicher. Ebenso wie das Faktum, dass sie es war, die das Folterprogramm immer wieder als „einzigartig effektiv“ zur Gewinnung „entscheidender Informationen über Al Qaida“ darstellte – gegenüber dem Kongress, der Regierung und Ministerien- und auch gegenüber CIA-internen Kritikern.

„Königin der Folter“ ist fraglos eine bessere Beschreibung ihrer Rolle als „Forrest Gump der CIA“, denn in summa folgen ihre scheinbaren Fehler einer Agenda: Sie produzieren Bedrohungsszenarien, eine Feindlegende. Diese ist spätestens mit der Aufnahme als zentrale Säule in das grundlegende Narrativ des „Kriegs gegen den Terror“ – den 9/11-Report – geadelt und ihre Schöpferin damit in den Kreis der Unberührbaren aufgestiegen, jener Akteure des „tiefen Staats“ oder der „Schattenregierung“, die für den Rechtsstaat nicht mehr greifbar sind. So wie die beiden „outgesourcten“ Psychologen, deren Firma die Folterprozeduren empfahl und Personal bereitstellte und dafür von 2002 bis 2006 mit 180 Millionen Dollar entlohnt wurde, einschließlich der Garantie, nicht gerichtlich belangt zu werden. Das wird auch Afreda Francis Bikowsky nicht drohen – sie handelte in „höherem“ Auftrag.

Die einzigen CIA-Mitarbeiter, die im Zusammenhang mit dem Folterbericht bestraft wurden, sind der Whistleblower John Kiriakou, der die Tortur des Waterboardings publik machte und zu 30 Monaten Gefängnis verurteilt wurde – und der CIA-Generalinspekteur David Buckley. Dieser wurde am 5. Januar 2015 entlassen, da er im vergangenen Juli öffentlich gemacht und staatsanwaltliche Ermittlungen gefordert hatte, weil die CIA ihre eigenen Kontrolleure ausspionierte: Sie hatte die Computer von Mitarbeitern des Senatsausschusses gehackt, die an der Abfassung des Untersuchungsberichts saßen.

Wolfgang Nešković (Hrsg.) Der CIA-Folterreport – Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA, Westend-Verlag, 624 S. 18,00 Euro.

Quelle: heise.de

Die Königin der Folter – Der CIA-Folterreport – Teil 1

Mathias Bröckers 17.01.2015

Kaum mehr als vier Wochen nach seiner Publikation in den USA erscheint jetzt der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA jetzt auch in deutscher Sprache. Auch wenn der veröffentlichte CIA-Folterreport nur aus einem Bruchteil des gesamten Berichts mit zahlreichen Schwärzungen besteht, sind die mehr als 600 Seiten das vielleicht wichtigste Dokument des Jahres.

Nicht weil die Dokumentation der grausamen Folterpraxis am Image der Vereinigten Staaten kratzt, das sich global betrachtet ohnehin auf historischem Tiefpunkt befindet, sondern weil seine Veröffentlichung zeigt, dass es in der selbst erklärten Bastion der Menschenrechte und Demokratie tatsächlich noch Menschen gibt, die diesen Anspruch ernst nehmen und eine wirksame demokratische Kontrolle geheimdienstlicher Operationen zumindest anmahnen. Wenn diese existiert, dann müsste dieser Bericht Konsequenzen haben und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Wer diese außer Bush, Cheney, Rumsfeld, Tenet et. al. konkret sind, lässt sich trotz der Schwärzungen entschlüsseln – und eine von ihnen ist die „Königin der Folter.“

„Sie hatte eine ungewöhnliche Menge Einfluss bei der CIA. Sie war smart und durchsetzungsfähig. Und ihre Trumpfkarte war, dass sie manchmal Präsident Bush persönlich berichtete“, schrieb Jane Mayer 2008[1] über eine leitende Managerin der „Alec-Station“, der Bin Laden-Abteilung der CIA.

Sie nannte noch nicht den Namen der „großen Rothaarigen mit glänzend rotem Lippenstift“, die nicht nur für die Entführungen und „erweiterten Vernehmungen“ zuständig und unter anderem dafür verantwortlich war, dass der deutsche Staatsbürger Khalid el-Masri in ein afghanisches Foltergefängnis verschleppt wurde. Sie war auch schon Teil eben jener CIA-Einheit war, die vor 9/11 dafür sorgte, dass die späteren „Hijacker“ Khalid al-Midhar und Nawaf al-Hazmi in San Diego unbehelligt blieben – obwohl al-Midhar seit 1998 auf der Terror-Watchlist stand. In „11.9. -Zehn Jahre danach“ hatten wir die „Akte al-Midhar“ folgendermaßen zusammengefasst:

Seit 1998 wurde das Haus seines Schwiegervaters im Jemen observiert, in dem er ein und aus ging; 1999 wurde er von Omar Al-Bayoumi in Kalifornien empfangen, einem Saudi mit Geheimdienstverbindungen (von dem der Commission Report verharmlosend vermerkt, er sei ein unwahrscheinlicher Kandidat für klandestine Beziehungen mit islamistischen Extremisten); im Januar 2000 nahm er an einem Al-Qaida-Planungstreffen in Kuala Lumpur teil, das vom malaysischen Geheimdienst auf Video aufgezeichnet und den US-Behörden übermittelt wurde; er und seine „Studien“-Kollegen in San Diego erhielten über ihren Mentor mo-natliche Schecks von der Frau des saudischen US-Botschafters Prinz Bandar; im September 2000 nahmen Al-Midhar und Al- Hazmi eine neue Wohnung in San Diego, im Haus des FBI-Informanten Abdussattar Shaikh.

Danach reiste Al-Midhar in den Jemen, wo im Oktober 2000 der Anschlag auf das US-Kriegsschiff Cole erfolgte, für das sowohl Gäste des safehouse seines Schwiegervaters als auch Teilnehmer des Malaysia-Treffens verdächtigt wurden. Zum selben Zeitpunkt wurde der oberste Terroristenjäger des FBI, John O’Neill, davon abgehalten, im Jemen zu ermitteln, und erhielt von Bushs Botschafterin Barbara Bondine Einreiseverbot. Stattdessen wurde Khalid Al-Midhar im Juni 2001 ein frisches Einreisevisum für die USA erteilt. (…)

Der Autor Lawrence Wright sprach mit einigen der Beamten der FBI-Einheit I-49, die für Al-Midhar zuständig gewesen wäre, hätte sie denn von seiner Rolle erfahren. Dass sie davon nicht erfuhren, so glaubt „mindestens die Hälfte der Jungs im Büro“, hatte damit zu tun, „dass die CIA Al-Midhar und Al-Hazmi schützte, weil sie hoffte, die beiden zu rekrutieren“.

11.9. zehn Jahre danach [2]

Oder, hatten wir hinzugefügt, dass sie diese „im Joint Venture mit den saudischen Kollegen schon rekrutiert hatte – als V-Männer (oder Agents Provocateurs?) in der ‚Logistikzentrale‘ von Al-Qaida ?“ Eine Spekulation, zugegeben, die freilich anhand der oben zitierten Ereignisse um den angeblichen „Logistiker“ (Der Spiegel) der 9/11-Anschläge durchaus begründet war.

„Erstaunlicherweise wurde auch mehr als dreizehn Jahre danach niemand in der CIA dafür öffentlich zur Verantwortung gezogen“, schreibt Jane Mayer jetzt dazu im „New Yorker“. Stattdessen stiegen die Verantwortlichen, die ihre „schützende Hand“ über den „Hijackern“ hielten, in der CIA-Karriereleiter auf. So auch Alfreda Frances Bikowsky, deren mittlerweile bekannt gewordenen Namen Mayer in ihrem Artikel noch zurückhält, ihr aber einen auf schreckliche Weise passenden Titel verleiht: „Die Königin der Folter“.

Nachdem NBC und Glenn Greenwald kurz darauf die (unter Journalisten schon länger bekannte) Identität der Agentin offengelegt hatten, wurde eine Schwierigkeit mit dem jetzt auch auf deutsch vorliegenden Folterreport deutlich: Anders als bei früheren Senats-Untersuchungen über geheimdienstliche Aktivitäten, die veröffentlicht wurden, sind die Namen der Agenten nicht durch Pseudonyme ersetzt, was es schwierig macht, die Handlungen einzelner Personen nachzuverfolgen und sie für ihr Fehlverhalten zur Verantwortung zu ziehen.

Im Falle von Frau Bikowsky war das relativ einfach möglich, weil sie schon zuvor mehrfach aufgefallen war: bei der Tarnung des späteren 9/11-„Hijackers“ Al-Midhar, bei den ersten „waterboarding“-Sitzungen mit dem angeblichen 9/11-„Mastermind“ Khalid Scheich Mohamed (KSM), für die sie im März 2003 „übereifrig“ (Jane Mayer) zu einer „black site“ nach Polen flog, sowie für die Verschleppung und Misshandlung des deutschen Staatsbürgers Khalid El-Masri, den sie in einem Knast in Afghanistan noch festhalten ließ, als schon lange klar war, dass es sich um eine Verwechslung mit einem namensgleichen vermeintlichen Al-Qaida-Funktionär handelte.

Zudem hat sie – wie Schlussfolgerungen des Senats aus dem Report zeigen, nach denen die Folterungen keinerlei nachrichtendienstliche Erkenntnis gebracht haben, den US-Kongress bei Anhörungen über die der „erweiterten Verhörmethoden“ mit Erfolgsberichten mehrfach in die Irre geführt. Wegen des Falls El-Masri hat der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele den Generalbundesanwalt aufgefordert, die ungeschwärzte Vollversion des Folterberichts anzufordern, um die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Frau Bikowsky zu prüfen. Das „European Center for Constitutional and Human Rights“ hat am 17. Dezember Strafanzeige gegen die „Architekten der Folter“ George Tenet, Donald Rumsfeld u.a. gestellt.

Nur mit Anklagen gegen die Verantwortlichen kann die von der westlichen „Wertegemeinschaft“ geschätzte Rechtstaatlichkeit bewährt werden

Seit die „Königin der Folter“ einen konkreten Namen und damit eine Ladeadresse hat, wären solche Ermittlungen rechtsstaatlich ohne Frage geboten, politisch ist dagegen zu erwarten, dass wie im Fall der Grundrechtsverstöße durch die NSA das Recht hier eher gebeugt als befolgt wird. Der langjährige Kollege Ströbeles im Parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste, Wolfgang Neskovic, legt in seiner Einleitung des Folterberichts die rechtlichen Implikationen dar, die nach deutschem und internationalem Recht aus dieser Untersuchung folgen müssten.

Ob und wo es zu Anklagen wegen des Folterreports kommt, wird ein entscheidender Prüfstein für jenes hohe Gut sein, das in der westlichen „Wertegemeinschaft“ Rechtstaat genannt wird. Da die Vereinigten Staaten die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft ziehen werden und der für Delikte des Völkerstrafrechts und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zuständige Internationale Strafgerichtshof in Den Haag nicht tätig werden kann, weil die USA ihn nicht anerkennen – zusammen mit Ländern wie Nordkorea, Iran oder Syrien, die ansonsten auf der „Achse des Bösen“ platziert sind -, bleiben vor allem die 41 europäischen Staaten, die bislang die Jurisdiktion des Internationale Strafgerichtshofs anerkannt haben. Sie könnten Ermittlungsverfahren in ihrem Heimatland einleiten – auch wenn es sich um Auslandstaten zwischen ausländischen Staatsangehörigen handelt.

Die ersten Gefangenen in Guantanamo 2002. Bild: US Navy

Dass das Quälen von Menschen geächtet bleiben und es sich bei systematischer, staatlich angeordneter Folter um ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit handelt, das geahndet werden muss – wo solche fundamentalen Rechtsgüter in Frage stehen und Verstöße dagegen folgenlos bleiben, kann von Rechtsstaatlichkeit kaum noch die Rede mehr sein. Deshalb scheint es auch voreilig, auf den ja durchaus existierenden Rechtsstaat in den USA zu verweisen, nur weil 560 von über 6000 Seiten Untersuchungsbericht nach jahrelangem Tauziehen zwischen den Parteien jetzt in stark redigierter Form veröffentlicht wurden.

Solange keine Konsequenzen daraus erfolgen, solange die Täter weiter in Amt und Würden sind, solange sie für ihre Taten belohnt und ausgezeichnet – Mrs. Bikowsky konnte sich 2012 offenbar eine 825.000-Dollar-Villa in der Nähe des CIA-Amtssitzes in Virgina leisten – aber nicht zur Verantwortung gezogen werden, solange herrscht statt des Rechts Doppelmoral und statt Zivilisation Barbarei.

Wenn nun aber die euphemistisch „verschärftes Verhör“ getauften Foltermethoden keine nachrichtendienstlich relevanten Erkenntnisse brachten und die Untersuchungskommission des Senats von den durch die CIA auf diese Methoden zurückgeführten „Anti-Terror-Erfolgen“ keinen einzigen bestätigen konnte, wenn also diese Verhöre nicht nur zutiefst inhuman, sondern auch durchweg ineffektiv waren, warum wurden sie dann wieder und wieder durchgeführt ?

Der Fall der „Folterkönigin“ Alfreda Bikowsky und ihre doppelte Rolle vor und nach dem 11.9.2001 könnte ein Licht auf diese Frage zu werfen: Weder die schützende Hand über dem angeblichen 9/11-„Logistiker“ Al-Midhar, noch die 183 Waterboarding-Torturen des angeblichen 9/11- „Mastermind“ Khalid Scheich Mohamed dienten der Gewinnung von Erkenntnissen. Sie dienten der Bildung von Legenden.

Wolfgang Nešković (Hrsg.) Der CIA-Folterreport – Der offizielle Bericht des US-Senats zum Internierungs- und Verhörprogramm der CIA, Westend-Verlag, 624 S. 18,00 Euro.

Quelle: heise.de